Ein Beitrag von: Martin Valentin Fuchs
Fotografie beschreibt mehr oder weniger das Aufzeichnen von Licht. Ein Fotograf ohne Licht wäre demnach wie ein Fisch ohne Wasser, der vergebens den Versuch unternimmt, nach Luft zu schnappen. Doch Licht ist nicht gleich Licht. Als essentiellstes aller fotografischen Werkzeuge präsentiert es sich außerordentlich individuell, facettenreich und sprunghaft.
Die am häufigsten verwendete Lichtquelle ist die Sonne. Die Charakteristik des Sonnenlichts steht unter ständigem Einfluss von Wetter, Tages- und Jahreszeit, wodurch sie ein schier endloses Spektrum an unterschiedlichen Lichtsituationen und Stimmungen zu bieten hat.
Aufgrund dieser Vielseitigkeit hat sie in den vergangenen zwei Jahren auch ihren Weg in mein Herz gefunden. Seitdem versuche ich unentwegt, sämtliche Erscheinungsformen des Sonnenlichts zu beobachten und so gut es geht für mein fotografisches Schaffen zu nutzen.
Unendlich weit entfernt, erscheint uns die Sonne lediglich als Lichtpunkt am Himmel, wodurch sich die Charakteristik des direkten Sonnenlichts durch besonders harte Schatten und starke Kontraste auszeichnet. Wer jemals um die Mittagszeit bei wolkenlosem Himmel den Versuch unternommen hat, ein Portrait zu fotografieren, der wird sich augenblicklich an die damit verbundene Problematik erinnern können.
Schatten, die so gnadenlos wirken, als würden sie sich durch das Gesicht des zu Portraitierenden schneiden. Je nach Verwendungszweck und bildgestalterischen Absichten kann aber auch diese Lichtstimmung zum gewünschten Ergebnis führen, so zum Beispiel bei diversen Modeaufnahmen. Ich persönlich neige jedoch dazu, direkte Mittagssonne im Freien so gut es geht zu meiden, da mir die Schatten zu hart und unvorteilhaft erscheinen.
Durch kleine Hilfsmittel wie Stoffe mit unterschiedlichen Dichten und Strukturen versuche ich jedoch immer wieder, zu hartes oder zu flächiges Licht abzuhalten, Schatten aufzuhellen oder ornamentale Lichtmuster herbeizuzaubern. Auch Bäume können ähnliche Effekte hervorrufen und Wälder bieten mir generell einen netten Zufluchtsort, wenn lichttechnisch am freien Feld nicht mehr viel zu machen ist.
Ein Gefährte, der seinen fixen Platz in meiner Kameratasche hat und wirklich immer dabei sein muss, ist mein kleiner Spiegel, der mir dabei hilft, Licht in die gewünschte Richtung umzuleiten und einen punktuellen Einsatz ermöglicht. Durch die Verwendung des Spiegels bleibt der Ursprung dieser starken Lichtquelle meist im Verborgenen, wodurch es mir ermöglicht wird, eine gewisse Unklarheit ins Bild zu bringen.
Ähnlich versuche ich mit lichtdurchlässigen Medien zu arbeiten, um dadurch ebenfalls eine Stimmung der Fremdartigkeit und Absurdität zu erzielen. Durch das Phänomen der Kaustik können wellenförmige oder marmorierte Lichteffekte entstehen, sodass kaum noch erkennbar ist, woher das Licht stammt und welche Lichtquelle verwendet wurde.
Lina Sheynius wäre an dieser Stelle als meine erste Muse zu nennen. Mit beachtlicher Experimentierfreudigkeit fängt sie spezielle Lichtsituationen in besonders intimer Atmosphäre ein und beweist dabei ein sehr feines Gespür für den Umgang mit dem Facettenreichtum des Mediums Licht.
Direktes Sonnenlicht, das durch Öffnungen in einen geschlossenen Raum eindringt, stellt für mich wohl die attraktivste Lichtsituation dar. Ich persönlich neige dazu, mit sehr extremen Lichtsituation zu arbeiten. Entgegen der Grundregel, dass der Motivkontrast nur so groß sein darf, dass alle Nuancen von der Kamera erfasst werden können, riskiere ich bewusst Überbelichtungen und den damit verbundenen Verlust von Bildinformationen.
Primär geht es mir darum, die Erbarmungslosigkeit der direkten Sonneneinstrahlung und die auf den ersten Blick verlorenen bzw. zerstörten Bildteile als Gestaltungsmittel zu nutzen. Diese vernichtende Wirkung des Lichts, die meist noch durch ein Überstrahlen in die umliegenden Bildteile unterstützt wird, strahlt eine fast übernatürliche Kraft aus und hilft mir dabei, absurde, fragwürdige oder sakrale Stimmungen zu schaffen.
Ein Künstler, der es außerordentlich gut verstand, derartige Lichtstimmungen zu nutzen, um ein Gefühl der Tristesse und Isolation hervorzurufen, war Edward Hopper und stellt damit eine maßgebliche Inspirationsquelle für mich dar. Lichtbalken, die den Raum durchziehen und dabei Menschen umschließen, die meist stieren Blickes ins Leere starren, zeichnen seine Werke aus. Die alltäglichen Szenerien wirken trotz starker Beleuchtung kühl und trostlos.
Mit ähnlicher Herangehensweise fängt Hellen van Meene Phasen der Adoleszenz ein, wozu sie Jugendliche, ähnlich wie Hopper, in ein besonderes Licht setzt, um dadurch auf deren Entwicklung und die damit verbundenen Stimmungen, wie ihr Gefühl der Fremdartigkeit, hinzuweisen.
Es gibt aber auch Lichtsituationen, die sich von vornherein wesentlich charmanter und pflegeleichter präsentieren, als das direkte Sonnenlicht. So zum Beispiel das liebreizende Paar der blauen und goldenen Stunde. Wie die Namen schon vermuten lassen, herrschen zu besagten Stunden besondere Stimmungen, die sich vor allem durch außergewöhnliche Farbtemperaturen auszeichnen. Vor allem die tief stehende Sonne zur goldenen Stunde nutze ich gern für stimmungsvolle Gegenlichtaufnahmen.
Als weitere treue Begleiter, die ich gern an meiner Seite begrüße, erweisen sich Nebel, Dunst und Wolken. Diese Gefährten verursachen besonders weiches bzw. diffuses Licht, das bei meinen Arbeiten vor allem bei schlichten Portraits mit neutraler bis kühler Atmosphäre zum Einsatz kommt. Allerdings können diese Lichtsituationen auch dabei helfen, verklärte bis düstere Stimmungen zu kreieren.
Besonderen Feinsinn für Lichtstimmungen jeglicher Art beweist Sally Mann, wodurch sie eine außergewöhnliche Brillanz in ihren Schwarzweiß-Fotografien zustande bringt und mir eine weitere Inspirationsquelle bietet. Vor allem mit ihren Familienportraits, die an Stimmung und Authentizität kaum zu übertreffen sind.
Ein weiterer Favorit auf meiner Liste ist indirektes Sonnenlicht, das durch große Fenster in einen Raum eintritt und ihn so mit weichem Licht durchflutet. Dennoch ist eine klare Lichtrichtung vorgegeben, was zu einem ausgewogenen Kontrast und einem schönen Licht-Schatten-Spiel führt. Gegebenenfalls verwende ich bei dieser Lichtsituation einen Aufheller, um zu dunkle Schatten etwas aufzuhellen.
Das Arbeiten mit vorhandenem Licht ist nicht immer einfach und kann den Geduldsfaden wirklich einmal überspannen. Auf jeden Fall wird ein gewisses Maß an Spontanität und Flexibilität gefordert.
Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, das Licht und all seine Facetten bewusst wahrzunehmen und zu studieren, um eine gewisse Sensibilität für den Umgang mit dem vielseitigen Spektrum des Lichts zu entwickeln. Bislang war jedoch nur von natürlichem Licht die Rede. Doch auch Kunstlicht kann dabei helfen, besondere Stimmungen zu erzeugen.
Das beste Beispiel hierbei stellt wohl Gregory Crewdson dar. Mit exorbitant teuren Szenerien und filmartigen Lichtaufbauten hat er das Arbeiten mit Licht in der Fotografie wahrscheinlich zur Perfektion gebracht.
Dabei geht es jedoch nicht um klassische Studiofotografie. Crewdson arbeitet stets mit Mischlichtsituationen, das heißt er verwendet vorhandenes Umgebungslicht und setzt gezielt durch diverse künstliche Lichtquellen, wie etwa Autoscheinwerfer, Wandleuchten, Taschenlampen oder Straßenlaternen spezielle Akzente. So mischt er natürliches, übernatürliches und mystisches Licht, wie es schon alte Meister wie Caravaggio und Rembrandt pflegten und kreiert auf diese Weise geheimnisvolle, unbekannte und unerklärliche Stimmungen.
Darin sehe ich auch meine Aufgabe für die Zukunft. Mein Spektrum zu erweitern und den Reichtum an Lichtsituationen, den die Sonne hervorbringt, noch durch die Komponente der künstlichen Lichtquellen zu erweitern. Dabei setze ich mir das Ziel, noch experimenteller und vielseitiger mit Licht zu arbeiten. Im Endeffekt darf man ruhigen Gewissens alle Register ziehen, experimentieren und das Spektrum des Lichts bis aufs Letzte ausschlachten.